Von Abzockern auf der Nanjing Lu

Ich bin nicht gerne auf der Nanjing Road. Erstaunlich eigentlich, da ich als bekennende Macchiato-Mom ja auch gerne shoppen gehe. Könnte man denken. So leicht ist es aber nicht.

Da das aber die größte Einkaufsstraße der Welt und damit einer DER Attraktionen in Shanghai ist, muss da quasi jeder Touri einmal gewesen sein und ich gehe auch mit allen Besuchern hin. Und manchmal eben auch so, weil es da nun mal diverse Läden gibt, in die ich gerne möchte. Allerdings bin ich halt nicht gerne in der Ecke.

In der Anekdote „Wanna watch? Wanna bag?“ habe ich schon mal einen Einblick in die Gründe gegeben. Ich kann es nicht ab, belagert und bedrängt zu werden.

Letzte Woche wollte ich ein paar Geschenke in der „M&M World“ kaufen. Es war ein heißer und sonniger Tag. 38 Grad und kurz vor der Mittagshitze, also so gar nicht mein Wetter. Als ich an der entsprechenden Ecke ausstieg, fand ich es aber aus unerfindlichen Gründen gar nicht so heiß und ich dachte, ach, wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich ja auch eben noch da und da hin und vielleicht auch noch nach dort.

Ich ging zuerst zu „Costa Coffee“ und erstand einen sehr leckeren eisgekühlten Hibiscus-Ginger-Tea. Der hatte mich bei den letzten beiden Besuchen schon so angelacht, als ich allerdings dringend was mit Koffein benötigte. Generell kann ich euch diese Kette nur allerwärmstens ans Herz legen. So viele leckere Sachen haben die! Und sind oft nicht ganz so voll wie Starbucks. Dazu kommt, dass deren Hygienesiegel (darüber muss ich unbedingt noch mal schreiben!) bisher in allen von mir besuchten Filialen Grün ist, einige Starbucks-Filialen (gerade die an besonders beliebten Plätzen) haben nämlich nur Gelb. (So, Costa Coffee, jetzt könntet ihr mich eigentlich mal zum Dank auf ein Gratis-Getränk einladen! Hihi.)

Mit dem köstlichen Eistee in der Hand schritt ich beschwingt die Straße herunter und wurde auch kaum genervt. Stattdessen war für sonstige Verhältnisse kaum was los, im Schatten war es ganz erträglich, keiner rotzte, die Leute hielten mir keine Selfie-Sticks/Zettel/Uhren/Hubschrauber/whatever unter die Nase und es war einfach ein schöner Tag. Hach!

„Guck mal an, die Nanjing Road!“ dachte ich. „Vielleicht wird das ja doch noch was mit uns!“ und freute mich.

Ich war richtig guter Dinge und tippte gerade was in mein Handy, als ich von einem asiatischen Pärchen angesprochen wurde. Sie hielten mir eine Kamera entgegen und fragten, ob ich ein Foto machen könnte. Höflich, wie ich bin, sagte ich natürlich zu und machte ein Bild. Danach quatschte der Typ mich zu. Wo ich denn herkäme, wo er herkäme, was man sich denn in Shanghai unbedingt ansehen sollte, blablabla.

So etwas bin ich eigentlich gewöhnt. Ich habe anscheinend ein „erzähl mir doch mal deine Lebensgeschichte“-Gesicht und werde gerne von fremden Leuten zugetextet. Seit Jahren, ach… Seit immer schon. Einer der Gründe, weshalb ich manchmal nicht gerne Bahn fahre. Da könnte ich euch Geschichten erzählen! Aber lassen wir das.

So höflich wie möglich stieg ich auf das Gespräch ein. Es mag sich blöd anhören, aber ich denke mir in solchen Situationen immer, auch meine kleine Reaktion trägt dazu bei, welches Image die Deutschen in der Welt haben. Und da versuche ich immer, so nett wie möglich zu sein. Also plauderte ich ein wenig mit den beiden.

Dennoch war ich misstrauisch und steckte meine Hände in die Hosentasche. Dort hatte ich mein Handy ‚reingesteckt, das sonst etwas zu locker da drin war. Und auch meine Handtasche konnte ich so ganz gut am Körper halten. Irgendwas fand ich komisch. Die zwei waren Asiaten, die knipsen ihre Fotos normalerweise per Handy und einem der allgegenwärtigen Selfie-Stick. Und wenn sie keinen haben, dann verrenken sie sich, um sich mit dem Smartphone zu fotografieren. Oder wenn sie keine der beiden Varianten verwenden, haben sie eine Spiegelreflex. Aber keine schrammelige Kompaktkamera. Andererseits kamen sie anscheinend aus einem kleinen Dorf. Das passte aber wiederum nicht zum Styling der Frau. Diese aber auch gar nicht zu ihm. Hmmm. Außerdem war sie schweigsam und konnte anscheinend gar kein Englisch, dabei hatte sie mich nach einem Foto gefragt. Er dagegen drückte sich sehr gewählt aus. Heißt aber eigentlich auch nichts. Hmmmm. Hmmm, hmmm, hmmm…

Ich war verunsichert. Mein Unterbewusstsein signalisierte ganz deutlich, dass hier was nicht stimmte, aber es erschien mir auch nicht so, als müsste ich nun besser wegrennen. Dazu fühlte ich mich mitten am Tag und mitten auf der belebten Einkaufsstraße zu sicher.

Während ich noch überlegte, ob ich nun einfach gehen sollte oder ob sich hier nur jemand aus einem kleinen Dorf freute, die vielleicht einmalige Chance zu haben, mal Small Talk mit jemandem aus Deutschland zu halten… Stellte der Typ mir die alles entscheidende Frage. Ob wir nicht hier in der Nähe einen Tee trinken wollen würden.

Ich glaube, mein Blick war unbeschreiblich. Hätte ich eine Sonnenbrille getragen, hätte ich die demonstrativ ein Stückchen nach unten gezogen, um ihn über den Brillenglasrand hinweg vorwurfsvoll anzublinzeln. Quasi die erwachsene Version des Stinkefinger-Zeigens.

Dazu muss man folgendes wissen: Der Trick ist so alt. Und immer noch allgegenwärtig, wenn auch in diversen Varianten. Unter einem Vorwand werden Leute angesprochen und in irgendeine Seitenstraße gelockt. Dort werden die dann (normalerweise zumindest) nicht zusammengeschlagen und ausgeraubt, aber ordentlich übern Tisch gezogen. Besonders gerne wird eine Tee-Zeremonie angeboten, die dann im Nachhinein plötzlich super teuer ist. Ohne dass man den Wucherpreis zahlt, wird man nicht mehr weg gelassen. Gerne stellt sich das Lockvogel-Paar dann selbst als „Opfer“ dieser Machenschaften dar. Und weil die einem eine tränenreiche Geschichte erzählen, dass sie sich das selbst gar nicht leisten können, weil *hier bitte erfundenen, aber rührenden Grund einfügen* , zahlt man deren Anteil auch noch mit. Ich habe das mal geoogelt, hier kann man diverse Erfahrungsberichte dazu lesen: www.beatpunk.org/reiseberichte/shanghai/.

Höflich verneinte ich und wir gingen schnell getrennter Wege. Ich war enttäuscht. Nicht, weil ich diese tolle Gelegenheit ausgeschlagen hatte, sondern weil die Nanjing Road diese Chance, sich doch noch in mein Herz zu schleichen, gründlich vermasselt hatte. Tja. Schade.

6 Gedanken zu “Von Abzockern auf der Nanjing Lu

  1. Haha, durch die Teezeremonie-Geschichte muss wohl jeder mal durch. Psychologisch finde ich die ja schon voll gut gemacht. Der Typ, der mich damals angesprochen hat, konnte perfekt Englisch (bekam aber natürlich auch eine Abfuhr). Ich frage mich, warum sich so jemand nicht einen besseren Job sucht als so ne Betrügermasche … Und wer darauf eigentlich noch reinfällt, weil, wie du sagst, der Trick ist soooo alt.

    PS: Den Kaffee beim Costa Coffee finde ich übrigens gar nicht so gut. ;-) Und Starbucks-Filialen können gelbe Smileys bekommen? Wow.

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    • Ich war auch überrascht, dass manche Starbucks-Filialen einen haben können. Das hätte ich nicht gedacht! Der, in dem wir waren, hatte einen und der an der Nanjing-Road beim M&M-Store eben auch. Einen weiteren habe ich noch im Kopf, aber ich weiß nicht mehr, wo das war. Ach, außer Kaffee haben die bei Costa Coffee ja auch diverse andere leckere Getränke. (Also wenn die mich jetzt nicht sponsoren, weiß ich aber auch nicht!! Haha.)

      Ach, den Trick gibt’s einfach in so vielen Varianten – ich glaube, auch wenn man davon gelesen hat, kann man da ganz schnell ‚reinrutschen. Die sind so raffiniert! Wenn die „Freundin“ nicht so komisch gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich gar nicht so schnell misstrauisch gewesen. Aber mitgegangen wäre ich trotzdem nicht. Ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass da finanziell so viel bei rausspringt. Die aus dem Café bekommen doch auch noch Provision. Aber vielleicht ist es der Nervenkitzel. Und man kann das ja im Lebenslauf schlecht als „hervorragende Kenntnisse im Verkaufsgespräch“ oder „Basiswissen psychologische Kriegsführung“ angeben. ;)

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