50 Shades of Smog

Vorhin bekam ich folgenden Artikel zugeschickt: „Feinstaub-Fotos aus China: Ist da noch Licht am Ende des Smogs?“. Der ist heute erschienen und somit brandneu. Ich möchte hier gerne ein paar Gedanken dazu loswerden.

Die Fotos sind super, keine Frage. Sie vermitteln eine gespenstische Atmosphäre und verfehlen ihre Wirkung nicht. Die meisten davon sollen Shanghai zeigen und ich gehe mal davon aus, dass das auch der Fall ist. Man sieht ja meistens nicht so viel. ;)

Mir persönlich fehlt eine Angabe, in welchem Zeitraum die entstanden sind. Ich wohne seit Dezember hier und wir haben nun Mitte April. Meiner persönlichen Erfahrung nach sind die Bilder alles andere als repräsentativ. Klar ist die Air Quality nicht die Allerbeste. Aber es ist nun wirklich nicht so, als würde es hier ständig so aussehen wie auf den Fotos. Das wird mit dem Artikel aber suggeriert und ich finde das nicht fair.

Diesen Winter waren die Werte gar nicht so schlecht. Das haben mir bisher alle Expats, mit denen ich gesprochen habe, gesagt. Letztes Jahr um diese Zeit gab es weitaus mehr Tage, in denen man sich kaum aus dem Haus getraut hat.

Die Feinstaubbelastung ist hier stets präsent. Wir haben eine unabhängige (zumindest relativ, wer weiß das schon…) App (siehe Link am Ende des Beitrags), die wir mehrfach täglich einsehen und die uns die aktuellen Werte in unserer Gegend anzeigt. Danach richten wir unsere Aktivitäten aus. Speziell deswegen, weil wir ein kleines Kind haben. Wenn ICH diese verpestete Luft einatme, ist das eine Sache. Felix ist aber noch ein Kleinkind, die atmen viel schneller als Erwachsene und pumpen damit viel mehr Feinstaub durch ihre Körper. Dieser befindet sich noch im Wachstum. Noch dazu legt der sich auf einer viel kleineren Fläche ab.

Aus unserem Wohnzimmerfenster haben wir einen ziemlich coolen Panorama-Blick und anfangs dachten wir, morgens nach dem Aufstehen beurteilen zu können, wie die Luftwerte gerade sind. Relativ schnell stellten wir fest, dass wir oftmals ordentlich daneben lagen.

Ja, oft kann man nicht weit gucken. Das stimmt und ich kann das auch nicht leugnen. An vielen Tagen ist das aber nicht nur der miesen Air Quality geschuldet, denn oft sind das auch schlicht und ergreifend Nebelschwaden oder ähnliches. Wir befinden uns in Meeresnähe und an einer Klimazone, in dem das Wetter ständig umschlägt. Die Wetter-App, die Pascal verwendet, schickt ihm immer eine Push-Nachricht, wenn die prognostizierten Werte des kommenden Tages über acht Grad von dem des aktuellen abweichen. Das passiert häufig. Wir hatten nun schon mehrfach das Phänomen, dass wir an einem Tag 21 Grad hatten und am darauffolgenden nur 13. Da brauche ich keinen nennenswerten metrologischen Hintergrund zu haben, um zu erkennen, dass das in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit schnell eine undurchsichtige Suppe ergibt.

Nicht zuletzt darf man in der ganzen Diskussion nicht vergessen, dass die Luft auch außerhalb Chinas schlecht ist. Die Luft in amerikanischen Industriestädten soll teilweise ähnlich oder sogar noch schlechter sein als hier. Dort werden nur keine Messungen angestellt beziehungsweise nicht so transparent dargestellt. Auch in Deutschland ist die Luft nicht so alpenfrisch, wie man immer gerne glauben möchte. (Nachtrag vom 6.5.2015: „Schadstoff-Rangliste Deutschland: Stuttgart ist die schmutzigste Stadt“)

Dazu gab es vor nicht mal einem Monat einen Aufruf des Umweltamtes, dass man doch bitte aufs Auto verzichten solle, weil die Werte so schlecht wären. Das kann man hier nachlesen: „Sehr hohe Feinstaubbelastung in NRW – Autos möglichst stehen lassen“. Was da online diskutiert wurde! Verständnis hatte da kaum einer und ich behaupte, viele haben den Grund des Aufrufs auch gar nicht verstanden. Hier ist das Thema zumindest präsent und es wird schon einiges getan. So sind ein nicht zu unterschätzender Teil der ganzen Motorroller hier beispielsweise elektrisch. Diese sind hier günstig, während man auf mit Benzin betriebene hohe Steuern zahlen muss.

Es ist also ein wenig kurzsichtig (haha), immer mit dem Finger auf China zu zeigen. Man muss sich auch mal an die eigene Nase packen. Die ganze böse Industrie, die für den Smog verantwortlich ist, produziert übrigens einen nicht unerheblichen Teil der Dinge, die in Deutschland verkauft werden.

In den Kommentaren zum eingangs genannten Artikel finden sich viele kluge Hinweise. Gerade Nummer drei („Tolle Bilder – leider realitätsfern“) würde ich gerne so unterschreiben. Dort wird erwähnt, dass es in Shanghai dieses Jahr bisher genau einen Tag gab, an dem Werte über 400 gemessen wurden. Einen! Und wir haben Mitte April. Ja, dort sah es ungefähr aus wie auf den Bildern, aber… Wir reden hier von einem Tag.

So sieht es am Neujahrsmorgen in Düsseldorf nach einer Nacht mit viel Geböller auch aus. Wenn am Karsamstag die ganzen Osterfeuer in der Umgebung abgefackelt werden, auch. Es ist ein bisschen so, als würde ich Rosenmontag Fotos vom Zoch machen und sagen, die Leute wären ja ständig verkleidet. Und in den Tagen Drumherum hätte ich auch ganz viele in Kostümen gesehen! Ab dem 11.11. beginnt die fünfte Jahreszeit und von Mitte November bis Februar würde man quasi dauerhaft volltrunkene Clowns, Piraten und Indianer in der Bahn antreffen.

Stimmt nicht? Genau. Und genauso wenig findet hier jeden Tag die heraufbeschworene „Airocalypse“ statt.

Nachtrag vom 21.4.2015: Hier könnt ihr euch online und ohne App die Werte aus Shanghai ansehen: http://aqicn.org/city/shanghai/ Wenn ihr oben rechts in die Suche geht, funktioniert das auch mit deutschen Städten!

6 Gedanken zu “50 Shades of Smog

  1. In dem WAZ-Artikel wird gesagt, dass die Luft in NRW so schlecht war, dass der Grenzwert von 50 Mikrogramm überschritten wurde. Nur der Neugier halber: Wieviele Tage gab es dieses Jahr, in denen Shanghai darunter geblieben ist?

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    • Puh… Nicht allzu viele, so viel steht fest. ;) Da muss ich raten, ich würde schätzen, es waren so 10-15. Aber immerhin! Es wäre demnach fairer, die Bilder von diesen Tagen als allgemeingültig zu wählen als die mit den schlimmen Werten.

      Ich war gestern Abend überrascht, dass es doch „nur“ 50 waren, von denen im Artikel gesprochen wurde, denn ich hatte 100 im Kopf.

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      • Fair wäre, Bilder von den Tagen mit Durchschnittswerten zu nehmen. Es zeigt sich, mein Sowi-Lehrer in den 90ern hatte Recht: Wenn jeder Chinese ein Auto will, ist das Weltklima im Arsch. (Nicht, dass es alle anderen nicht schon genug ruiniert hätten, ne?)

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